Tagebuch

Samstag, 08. Oktober 2017, 19:10 Uhr

Was will ich eigentlich? Was soll weiter aus meinem Leben werden? Immer wieder stelle ich mir die Frage nach dem Sinn meines Erlebens? Warum habe ich die Intensivstationszeit, Atemstillstand, Koma, schweres Lungenödem, schwere Darmoperationen wegen durchlöcherten und zerplatzten Dünndarms überlebt?
Ich habe so viel geschafft im vergangenen Jahr! Ich konnte mich wieder zurück kämpfen vom Pflegeheim in meine Wohnung, lebe jetzt dort seit wenigen Wochen! Ich habe sehr hart an meinem Körper gearbeitet, laufen gelernt, auch wenn ich dabei Unterstützung benötige. Nach der Intensivstation konnte ich gar nichts mehr, nicht einmal mein kleines Fingerchen 1 mm hoch oder runter bewegen. Erst fing ich an mit intensivem Fingertraining, noch auf der Intensivstation. Dann bekam ich intensiv Krankengymnastik und lernte meinen Körper wieder zu bewegen. Ich musste lesen und schreiben lernen, wusste nicht einmal mehr, wie das Alphabet geht. Zuerst zeichnete ich Kreise, Dreiecke und Vierecke, dann Schnecken in die eine und in die andere Richtung und das immer und immer wieder, erst aus diesen Figuren erwuchs langsam ein Alphabet. So vieles habe ich neu lernen müssen. Dass ich das alles geschafft habe, ist wie ein Wunder! Nun sitze ich in meiner Wohnung und habe nur die nötige Kraft, ganz banale Dinge des Alltags zu schaffen! Ich bin weiterhin auf künstliche Ernährung über einen Port angewiesen und brauche diese, wie es aussieht, wegen meines Kurzdarmsyndroms lebenslänglich! Mein Alltag besteht darin, zu schlafen, flüssiges zu essen, auf Toilette zu gehen und wenn es nicht klappt, mich mittels eines großen Klistiers um das Abführen zu kümmern, was eigentlich täglich vorkommt, Therapien wie Krankengymnastik oder Ergo zu haben und das war es dann, dann bin ich nämlich platt am Abend und kann nicht mehr. Dann werde ich am Port angeschlossen und am Tag kümmere ich mich teilweise selbst um die Portangelegenheiten, wie am Morgen den Port selbstständig spülen, wenn die Nahrung über Nacht zu Ende gelaufen ist u. a.. Das alles kostet mich schon so viel Energien, dass keine Kraft mehr übrig bleibt, um Dinge zu tun, die ich so gerne noch tun wollte! Mein Leben lang möchte ich eine Autobiografie schreiben, und jetzt scheint es so, als gäbe mein Leben gar keine Energien mehr dafür her, nie mehr! Irgendwie habe ich den Glauben daran verloren, dass ich dies jemals noch schaffen kann! Das frustriert mich und macht mich traurig. Ich frage mich, was ist mein Leben so wert? Was habe ich erreicht, geleistet? Ich dachte immer mit dieser Autobiografie würde ich einen Volltreffer landen und ganz viele Menschen erreichen und ihr Herz bewegen und dass dies meine Berufung von Gott ist. Und nun scheint alles ein ganz banales Ende zu nehmen, ich werde einfach nur leben, irgendwann nicht mehr atmen und das war’s dann. Aus und vorbei mein Leben. Verloschen, nichts Großes erreicht, einfach nur gelebt!
 
So langsam verändert sich mein Denken. Mir wird klar, dass es vielleicht ja gerade das ist, dass man dort lebt, wo man hingestellt ist, und dass dieses Leben etwas bei meinen Mitmenschen bewirkt! Die Menschen, mit denen ich jetzt im Alltag zu tun habe, die werden von mir geprägt und verändert und das ist doch schon etwas. Und die Summe all dessen, was in meinem Leben geschehen ist und wem auch immer ich begegnet bin, die macht mein Leben aus! Ich möchte lernen, dass dies genug ist, dass mein Leben, so wie es ist, genau richtig ist! Unabhängig davon, was ich geleistet habe, es ist völlig egal! Es ist nicht relevant! Nicht die Leistung zählt, sondern dass ich geliebt und gelebt habe, bewusst, jeden Augenblick. Und dieses Leben als einen Schatz ansehe, das Hier und Jetzt!
Ich habe heute all meine Träume an Gott abgegeben und es hat mich erleichtert. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht schaffen werde, eine Autobiografie zu schreiben, nicht jetzt und vielleicht gar nie mehr in meinem Leben auf der Erde! Ich habe diesen Traum in seine Hände gelegt, das hat mir gut getan. “Gott, entweder du tust ein Wunder und schaffst eine Möglichkeit, wie mein Traum doch noch Wirklichkeit wird oder aber es ist in Ordnung so, wie es ist! Ich danke dir.“

 

Mittwoch, 13. Juli 2016, 4:31 Uhr

Heute Nacht funktionierte meine Klingel nicht mehr, so dass ich, wenn ich etwas brauchte oder im Notfall, nicht klingeln konnte. Zunächst dachte ich okay die Nachtschwester schaut ja immer wieder einmal nachts vorbei, ob alles in Ordnung ist. Aber ich hatte nicht genug zu trinken, um meine Medikamente zu nehmen und ich brauchte etwas Essbares, damit mein Magen das Medikament überhaupt vertragen konnte. Eigentlich wollte ich klingeln und die Schwester bitten, mir ein Stückchen Brot aus dem Kühlschrank zu bringen. Doch das ging nun nicht. Ich hatte noch das Kartoffelpüreepulver und heißes Wasser in der Thermoskanne, sowohl das Glas, was ich zum Zähneputzen, um den Mund auszuspülen benutzt habe. Aber wie sollte ich diese Kanne auf bekommen? Schließlich schaffte ich es mit der Greifzange den Deckel Millimeter für Millimeter weiter zu öffnen, rührte mir ein wenig Kartoffelpüree an, aß es und nahm mit dem wenigen Wasser meine Medikamente. Geschafft! Dann schlief ich für 2 Stunden ein. Als ich wieder aufwachte, musste ich dringlich umgelagert werden, da ich es in Rückenlage nicht mehr aushielt vor Schmerzen. Aber ich konnte ja nicht klingeln. Es war zum verrückt werden. So rief ich immer wieder laut „Hallo, hallo“, doch das Hallo erhallte so lautlos in diesem Zimmer, dass mir klar war, dies würde niemand hören. Schließlich fing ich an sehr lauten Krach mit meiner Greifzange zu machen. Ich schlug permanent sehr laut gegen den Galgen, der über meinem Bett ist, auch gegen die Wand, doch im Flur blieb es still. Allmählich wurde ich leicht panisch. Ich dachte “was für ein Albtraum, dir kann hier alles passieren und kein Mensch bekommt es mit!“ Jetzt schrie ich so laut ich konnte und schlug weiter und weiter mit der Greifzange gegen den Galgen, schrie und schrie… Nichts! Mir war zum verzweifeln, was sollte ich tun? Erst insgesamt 4 Stunden später, schaute die Schwester vorbei und ich war erlöst. Eine andere Schwester muss aus Versehen beim Verschieben meines Nachtschrankes den Stecker aus der Steckdose gerissen haben.

 

Mittwoch, 13. Juli 2016, 21:00 Uhr

Ergänzend  [zum Gedicht “Aus – halten”] möchte ich sagen, dass mir durchaus klar ist, dass es in jedem Pflegeheim Missstände gibt. Dies liegt zum Großteil an unserem System, wie generell mit Pflegebedürftigen Menschen vorgegangen wird. Die Regierung, Krankenkassen etc. haben festgelegt, dass wenig Gelder für solche Pflegeeinrichtungen herausgegeben werden sollen. Ich möchte es deutlich nennen: man hat uns an den letzten Rand der Gesellschaft abgeschoben. Dort gammeln und vergammeln wir und es interessiert kaum jemanden, weil die meisten Menschen auch gar nicht Bescheid wissen, wie es abläuft. Zudem haben viele Menschen Berührungsängste, sich mit diesen Themen Alter, Pflegebedürftigkeit, Bettlägerigkeit , Schmerz, Leid oder Tod auseinanderzusetzen. Die Mitarbeiter (Schwestern und Pfleger) sind ständig mit diesen Themen konfrontiert und werden leider viel zu schlecht für ihre Arbeit bezahlt. Zudem gibt es zu wenig Personal, weil die Kosten nicht von den entsprechenden Institutionen gedeckt werden. Es gibt Schwestern und Pfleger, die sich die Hacken wund laufen und für drei arbeiten und tun und machen, was in ihrer Macht steht . Manche machen sogar fast täglich Überstunden und bekommen diese nicht einmal bezahlt. Dann gibt es wieder Mitarbeiter, die einfach frustriert sind, weil sie so wenig für ihre Arbeit bekommen und entsprechend demotiviert an das ganze herangehen. Was mich betrifft, ich kann nur ausdrücken in meinem Gedicht, wie ich es erlebe. Es ist wirklich nur meine Sicht der Lage, in der ich mich befinde. Zu diesem Gedicht ist es hilfreich zu wissen, dass ich vor allem auch sehr frustriert darüber bin, dass ich, obwohl ich jetzt schon seit gut drei Wochen in der Kurzzeitpflege im Pflegeheim bin, nur ein Mal Krankengymnastik bekommen habe, obwohl der Arzt zwei bis dreimal pro Woche verordnet hat. Zusätzlich soll ich zweimal pro Woche Ergotherapie bekommen. Jetzt ist der Krankengymnast krank und es gibt nicht einmal einen Ersatz für ihn. Von Ergotherapie habe ich noch gar nichts gehört. Dies ist vor allem deshalb so schlimm für mich, weil ich möglichst schnell mobiler werden wollte, um baldigst wieder nach Hause gehen zu können. Dadurch, dass ich 23 Tage auf Intensivstation verbracht habe, bin ich natürlich entsprechend immobil. Nach der Intensivstation wog ich mit einer Körpergröße von 1,73 m nur noch 40 kg. Jetzt wiege ich 46 kg. Als ich auf Normalstation war bekam ich nach einer halben Woche jeden Tag Krankengymnastik und konnte dadurch ein wenig mobiler werden. Ich musste wirklich von null anfangen, konnte nicht einmal meine Finger bewegen, konnte einfach nichts. Das war sehr erschreckend für mich! Jetzt liege ich hier im Pflegeheim und nichts geht weiter, sondern im Gegenteil, ich mache wieder Rückschritte. Dieses vor allem, aber auch meine Schmerzsituation, mit der das Pflegeheim große Probleme hat, weil es bisher noch nie so hohe Opiatdosen verabreichen musste, bewogen mich dazu, das Gedicht zu schreiben. Wegen dem Opiat gab es endlose Diskussionen und meine Freunde haben ohne Ende versucht, zu vermitteln, denn sie konnten sich das Elend meines Schmerzes nicht mehr mit ansehen. Die Pflegeleitung , die erst kurze Zeit hier die Leitung übernommen hat, hatte immer wieder Bedenken und Angst, dass sie mich mit dieser Dosierung töten könnten. Doch ich bin langjähriger Schmerzpatient und über 20 Jahre noch zigmal höhere Dosierungen gewohnt. Zudem konnte ich nie verstehen, wenn doch der Arzt es verantworten kann, mir solch hohe Mengen zu verordnen und dem Pflegeheim eine entsprechende schriftliche Anordnung gibt, warum es dann nicht umgesetzt werden kann. Zum Beispiel ging es um einige Spritzen, die dreimal am Tag und einmal zur Nacht bei Bedarf gegeben werden sollten. Da es sich um ein starkes Opiat handelte, gab es eine Krankenschwester, die sich verweigerte, mich zu spritzen. Diese hatte aber immer dann Dienst, wenn ich die Spritzen gebraucht hätte. Der Arzt sagte meiner Freundin: “Bei Bedarf heißt, wenn die Patientin extreme Schmerzen hat, soll sie diese Spritze bekommen.“ Doch der Pflegeleitung war diese Anordnung zu schwammig und legte es so aus, dass die entsprechende Schwester entscheiden soll, ob ich Schmerzen habe oder nicht und ob es jetzt angebracht ist, mir die Spritze zu geben. Im Hintergrund verhandelte die Pflegeleitung mit meinem Arzt, dass er eine andere Lösung suchen sollte, ohne diese Spritzen. Doch diese waren nun einmal für mich die beste Schmerzlinderung, die ich für 2-3 Stunden bekommen konnte. Die restliche Zeit lag ich oft weinend Tag und Nacht im Bett, weil die Schmerzen so extrem waren, dass ich am liebsten nur geschrien hätte. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel geweint wie hier.

Leider ließ mein Hausarzt sich auf einen Kompromiss ein, stellte die gesamte Schmerz Medikamente um Dazu muss ich noch erwähnen, dass die Sommer Urlaubszeit leider sehr schlecht für mich war. Denn mein Schmerzarzt war bis vorgestern in Urlaub, so dass der Hausarzt die Schmerzversorgung über diesen Zeitraum übernehmen musste. Da er kein Schmerzarzt ist, war die Versorgung natürlich entsprechend suboptimal. Dennoch, die Spritzen hätten sehr gut geholfen, wenn man sie regelmäßig verabreicht hätte . So wäre ich über diese Zeit mit den anderen oralen Gaben gerade so hingekommen. Da dies aber nicht gegeben war, litt ich wie ein halb tot geprügelter Hund!